Mit der Kamera Bilder aufnehmen bevor man abdrückt. Klingt verrückt, geht aber mit modernen spiegellosen Kameras. So ist der verpasste Moment doch noch auf der Speicherkarte.
Seit der Olympus OM-D E-M1 Mark II, welche im Herbst 2016 eingeführt wurde, nutze ich die Funktion gerne in der Tierfotografie. Den Auslöser halb durchdrücken und schon werden Bilder in den Puffer geschrieben, um bei vollständigen Durchdrücken des Auslösers auf den Speicherchip geschrieben zu werden. Meist kann man im Menü einstellen, ob eine halbe oder eine ganze Sekunde gespeichert werden soll. Und so kann man die eigene langsame Reaktionszeit übertölpeln und erwischt den Vogel beim Abflug oder den Biker oder Surfer beim Sprung. Einzig das Motiv muss man noch im Sucher behalten, nicht das der Vogel beim Absprung aus dem Bild heraus gesprungen ist.

Leider hat der Sensor und Autofokus der Olympus gegenüber Vollformat und APSC einige Mankos. Es gingen 6 Jahre ins Land, bis Canon diese Funktion in der Canon R7 und in der R6 Mark II implementierte. Jeder Hersteller hat inzwischen diese Funktion in seinen Geräten. Und jeder Hersteller gibt dieser Funktion einen eigenen Namen, mal ist es Pro Cature, mal Pre-Recording, mal Pro-Shot, mal Predictive Capture oder bei Canon eben Pre-Continuous-Shooting oder in deutsch Voraufnahme.
Die Implementation bei der Canon R7 und R6 Mark II war allerdings eine Krücke. Alle Bilder der Serie werden in ein File gepackt und man muss mühsam das gewünschte Foto in der Kamera extrahieren. Bei einem Tag an einer Vogelkolonie mit tausenden von Fotos eine extrem zeitraubende Aktion. Dies hat sich nun mit der R5 Mark II (und R1) geändert und die Serie wird als einzelne Bilder gespeichert.
Die Voraufnahme funktioniert nur mit Seriebild und elektronischem Verschluss (ES). Bei dem Gebrauch des ES hat die Canon EOS R7 einen grauenhaften Rolling Shutter Effekt, welcher bei anfliegenden Vögeln so manches Bild verhunzt. In der Vergangenheit griff ich dann doch lieber zur R5 und habe auf die Voraufnahmemöglichkeit verzichtet. Mit der Canon EOS R5 Mark II ist dies zum Glück vorbei und der Rolling Shutter ist kein Thema mehr und die Voraufnahme-Funktion ist gut implementiert. Auch kann sie ins Q-Schnellmenü gelegt werden und ist so schnell aufrufbar.

Die Canon R5 Mark II speichert 15 Bilder vor dem Auslösen. Bei den vollen 30 Bildern pro Sekunde ist dies eine halbe Sekunde. Da ich bei Säugetieren meist die langsamste Seriebildgeschwindigkeit eingestellt habe (bei mir 7.5B/s), nimmt die Kamera 2 Sekunden vor dem Auslösen auf. Toll wäre, wenn ich dies auf eine Sekunde begrenzen könnte. Hier ist die neun Jahre ältere Olympus flexibler in den Einstellungen.
Ich wollte schon lange ein Bild von einem bellenden Reh (Fachausdruck "schrecken"). Während Böcke unter anderem schrecken, um ihr Territorium zu markieren, so tun es Weibchen auch mal, wenn etwas unbekanntes dort steht und sie es nicht einordnen können. Wie zum Beispiel einen leicht getarnten Fotografen. Dieses Bellen ist jedoch unvorhersehbar und nur durch Zufall im Bild festzuhalten. Oder eben die Kamera hat Pre-Capture.
Es braucht Erfahrung, Geduld und Glück um Rehe formatfüllend aufzunehmen. Aus Erfahrung weiss ich, wo in etwa ich zu welcher Uhrzeit ein Rudel Rehe finden kann. Mit etwas Geduld kommen sie dann auch irgendwann vorbei. Und mit etwas Glück nicht am anderen Ende der Lichtung sondern dort, wo man sie gerne hätte, damit es einen fotogenen Hintergrund und schöne Lichtstimmung hat. Manchmal hat man etwas zuviel Glück und die Rehe sind mit 30 Metern plötzlich zu nahe, um mit dem EF 600mm f/4 ein "vernünftiges" Bild zu machen und ohne Aufsehen den Telekonverter zu entfernen.

Vorletztes Wochenende war es soweit, dass ich Zeit und Lust hatte, das Wetter trocken war sowie der Wind aus der richtigen Richtung kam. Es hat etwas beruhigendes, bei fast Vollmond morgens kurz nach sechs durch den Wald zu spazieren. Erstaunlich ist auch, das mein Handy die Szenerie aufnehmen kann.

Leider war nicht mehr viel Schnee auf der Wiese. Ich war gut eine Stunde vor Sonnenaufgang am richtigen Ort und es ging nicht lange, da zeigten sich die ersten zwei Rehe. Zum Glück liessen sie sich nicht vom vorbeifahrenden Fahrzeug auf dem nahen Forstweg stören.

Rehe beim traversieren der Lichtung mit rund 80 Meter Entfernung- Canon EOS R5 mk2 EF 600mm f/4 mk3 +1.4TC 1/80s, ISO 25'600, f/5.6
Ich habe versucht, in der Deckung etwas näher zu kommen, da in der Dämmerung der zweifach Telekonverter am Canon EF 600mm f/4 zuviel Licht frisst. Mit dem 1.4er Konverter komme ich anfänglich auf 1/80 Sekunde bei ISO 25'600 und bin froh, dass die Rehe meist still stehen und der Bildstabilisator und mein Einbein-Stativ die 840mm des Objektives still halten.

Das einte Reh bemerkt irgendwann etwas, vermutlich das Geräusch des Bildstabilisators. Ich scheine es nicht gross zu stören, läuft es doch in etwa 80 Meter Entfernung im Halbkreis um mich herum und schreckt ab und an. Da ich keine Chance habe, den Moment des Bellens vorherzusehen und im richtigen Moment abzudrücken, stelle ich das Pre-Capture ein.


Nicht genug damit, das einte Reh kommt mir immer näher und bellt knapp an mir vorbei und gibt so ein schönes Motiv ab.


Irgendwann ist es vermutlich genug um mich herum, dass es meine Silhouette oder Duft war nehmen kann und rennt davon. Da die Sonne noch nicht aufgegangen und die Verschlusszeit erst bei 1/125s steht, ist es unmöglich ein scharfes Bild zu bekommen.

Mit den Bildern im Kopf und Kasten sowie einem Loch im Bauch gehts heim zum Frühstück.
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